Die Realitätenbesitzerin

Rezensionen

Zores en gros

Anita Pollak, Kurier, 19. 5. 1993

 

Ein Zinshaus in der Rolle der Romanhelden. Eine abgerissene Bassena als Symbol für das Ende eines lebhaften Kommunikationszentrums. Claudia Erdheim schildert in ihrem neuen Roman ihr Leid als Hausbesitzerin.

 

Wiener Zinshäuser eigenen sich für literarisch ambitionierte Milieustudien ebenso wie für kabarettistische Erforschungen der Volksseele zwischen Kaisermühlen und Bezirksgericht. Die Wiener Autorin Claudia Erdheim hat ein Zinshaus, ihr Haus und gleichzeitig Schauplatz ihres ersten Romans, nun zum eigentlichen Helden eines Buches gemacht, mit dem sie örtlich wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehrt. Wo sie einst unter ihrer psychotherapeutisch praktizierenden Mutter und deren chaotischer Umgebung litt, leidet sie nun als Hausherrin. "Die Realitätenbesitzerin" (Löcker Verlag) ist der großspurige Titel eines Romans, dessen Thema die Renovierungsgeschichte eines Wiener Jahrhundertwendehauses ist und der beides sein will: literarisch ambitioniert und wienerisch-kabarettistisch.

Er ist tratschig auf Mundel-Eben, mit all den Horatscheks, Fastls und Reithmeiers, den Installateuren, Anstreichern, Tischlern und Polieren auf der Handwerkerfront, den Magistratsbeamten und Anwälten auf der bürokratischen Front und auf einer quasi höheren Ebene literarisch. Auf der Ebene des menschlichen Scheiterns am Allzumenschlichen, am Kleinkram, der zum Großkram wird, am Sand, der das Getriebe lahmlegt, am sisyphushaften Anrennen gegen Gesetzesgestrüpp und Behördendschungel und letztlich gegegn menschliche Strukturen, wächst das monologische Kabarettstück zum Roman.

Das Zinshaus mit Augen und Ohren, die hinter jeder Türe lauern, mit seinen Originalen, seiner Geschichte und seinen Geschichterln, ein spezifisch wienerischer Locus mit Tradition, wird bei Erdheim fast zu einem organischen Wesen, das sich mit Zähigkeit allen Veränderungen widersetzt. Dabei ist die abgerissene Bassena, die den Umschlag ziert, wohl auch als Symbol für ein ehemals menschliches Kommunikationszentrum zu sehen, das in Zeiten wie diesen mit Wohnungsnot und undurchsichtigen Mietgesetznovellen zum Jagdrevier für Immobilienspekulanten wird. Zum großen Halali wir hier allerdings nicht geblasen, alles bleibt im Bereich der kleinkorrupten Alltagspraxis - da ein paar Hunderter geschmiert, dort ein paar Tausender unterschlagen und ein paar Hunderttausender Deppensteuer bezahlt, denn die "Realitätenbesitzerin" ist eben nur die naive Erbin eines Vorstadthauses: 1907 gebaut und von meinem Großvater gekauft. Ein Doppelhaus mit Veranda und Garten für die Herschaften, Magazin, Bierkühlanlage, Pferdestall, Waschküche, Klopfhof, Kohlenkeller, Schlosserei, Zimmer-Küche-Wohnungen, Bassena und Häuseln am Gang. Alles noch so, wie es früher war.

Die ahnungslose Hausherrin gerät schnell zwischen alle Fronten. Jeder -von der Verwalterin bis zur mitbesitzenden Schwester- will möglichst schnell und möglichst viel lukrieren, wo es kurzfristig nichts gibt außer Bauschutt, nicht funktionierende Klosetts, unwillige Handwerker und beschwerdebriefschreibende Parteien - kurz und deutsch: Zores en gros.

"Es ist ein sehr realitätsnaher Roman, aber alles ist literarisiert", behauptet Claudia Erdheim, die sich auch in ihren bisherigen Büchern im Bereich ihrer Biographie und im ihr sehr vertrauten Milieu aufgehalten hat. Die pschoanalytische Szene und ein Wiener Universitätsinstitut waren dabei Kulisse und Thema zugleich, wie eben nun das Wohnhaus. "Wir haben alles aus der Wahrnehmung. Ich bin von Beruf Empirikerin und hab' daher noch mehr aus der Wahrnehmung, zusätzlich bin ich auch ununterbrochen Schriftstellerin. Ich beobachte immer", was dazu führt, daß sich Menschen aus ihrer Umgebung in ihren Romanen unschwer erkennen und erkannt werden können. "Die Leute sind durch meine Brille gesehen und sind es daher nicht mehr", weist die schreibende Brillenträgerin den Begriff "Schlüsselroman" ebenso von sich wie den der Reportage. Ihr sei es darum gegangen, durch Verknappung Komik zu erzeugen, beschreibt sie ihre Erzähltechnik. Verknappt sind die aus dem Gedächtnis verfaßten, ungeschminkt-flotten Aufzeichnungen einer frustrierten Hauseigentümerin sicherlich, denn der jahrelange Prozeß mit drohenden Prozeßkosten würde als Protokoll wohl mehr als die knapp 140 Seiten des Buches füllen. Über dessen quasi praktische Bedeutung als "Lehrstück" hinaus beweist Claudia Erdheims tragikomischer Beitrag zur Mietrechtsdiskussion, daß sich auch österreichische Gegenwartsautoren durchaus mit gesellschaftskritischen Themen auseinandersetzen, wenn es ihnen nur genügend unter den Nägeln brennt.

 


Gerhard Jaschke

Ex libris, 2.5.1993, Ö 1

 

Ausgangssituation des neuen Romans von Claudia Erdheim ist die Erbschaft eines Zinshauses, getätigt von der Ich-Erzählerin und ihrer Schwester. "77 nach dem Tod der Mutter", heißt es da. "beide von nichts eine Ahnung. Meine Schwester wollte verkaufen. Ich wollte nicht. Und alles blieb wie es war." In diesem knappen, lapidaren Jargon geht es ins scheinbar rasender Geschwindigkeit über hundert Seiten dahin. Beteuert wird des öfteren, mit den neuen Gegebenheiten sich nicht zurecht zu finden, z.B. "Ich versteh von alledem grad soviel wie ein Analphabet von Goethe. Interessiert mich auch nicht. Ich will ein renoviertes Haus haben und zusammengelegte Wohnungen, "Diesen Wissensstand samt Interesselosigkeit versteht die Autorin jedoch äußerst eindrucksvoll zu Papier zu bringen. In einer ziemlich schnoddrigen Diktion, schnörkellos, verheddert im Paragraphendschungel. Schwierigkeiten mit Mietern, der Hausverwaltung, dem Magistrat und den Handwerkern belasten, gutgemeinte Ratschläge verwirren eher als sie helfen konnten. Von der einen Seite etwa wird ein Wirtschaftsanwalt offeriert, von der anderen ein Sanierungskonzept. Doch die Unsicherheit, einen Fehler nach dem anderen zu begehen, begleitet sie. Zahlen tauchen auf. Jetzt kommt wieder unverständliches Zeug, muß sie sich eingestehen. Alles geht Schlag auf Schlag. Der Versuch eines stenogrammartigen Festhaltens von sich überstürzenden Ereignissen, ein gleichsam atemloses Konstatieren von Unvorstellbarem ist hier gegeben. Sorgen rundum mit sachgemäßen Installationsarbeiten und anderem mehr. Der Maler kommt grad ein paar Stunden am Tag, der Tischler ist nicht zu sehen. Kein Wunder, daß es Schimpftiraden hagelt. Das alles zehrt enorm an den Nerven, vieles geht kaputt. Der Bericht unternimmt die Anstrengung, dem wahnwitzigen Tempo der Vorfälle gerecht zu werden. Briefpassagen wollen Situationen verdeutlichen. Ziemlich enttäuscht muß sich die Ich-Erzählerin mit dem status quo konfrontieren: Sie hat zwar ein Haus, aber davon hat sie nichts. Außer Ärger. Da wie dort, nichts als Versprechungen, jede Menge Ungereimtheiten, Abstrusitäten - für einen Außenstehenden, mit der jeweiligen Sachlage nicht Befaßten. "Das Haus hat der Teufel g'sehn. Es geht wirklich alles schief, was nur schief gehen kann", notiert sie. Schließlich werden Menschen von ihr nur noch nach ihrem Einkommen, ihrer Zahlugnsfähigkeit taxiert. "Verdient nicht schlecht", beginnt ein Kurzporträt." Das ist wichtig." - Bei Schulden in Höhe von vierzehn Millionen, die auf dem Haus lasten, und dem Drängen ihrer Schwester, dieses zu verkaufen (sonst kann "Schnecki" nicht in Rom studieren), so unvorstellbar nicht.